In den Fängen des Terrors, Episode 0.2

Anmerkung: Es handelt sich hierbei um den zweiten (und letzten) Teil des Prologs. Wer Hintergründe mag, ist eingeladen die Vorgeschichte zu lesen, alle anderen werden auch bei späterem Einstieg folgen können.

Seine Freundin war überdurchschnittlich groß, aber immer noch etwas kleiner als er, blond und ihre Haut war hell weiß. In dieser Umgebung stachen ihre dunklen, braunen Augen natürlich besonders hervor. Man konnte nicht umhin, ihr ständig hinein zu sehen. Sie hatte einen Job in der Hauptstadt angenommen und war dorthin gezogen. Die Wochen seit diesem Tag kamen ihm ewig vor, doch heute sollte diese Zeit enden. Länger hätte er es auch kaum ertragen können.

An einem gewöhnlichen Tag hätte er das Fahrrad genommen und wäre zum Bahnhof geradelt, doch diese Option stand ihm heute nicht zur Wahl. Es hätte ja auch wieder seinen Weg zurück finden müssen. So verabschiedete er sich kurz von seinen Eltern und ging zu Fuß. Er hatte die lange Version dieser Prozedur schon am Vortag hinter sich gebracht. Wie er heute erfuhr, hatte seine Mutter geweint, als er aus dem Raum war. Aber es sei, wie sein Vater sagte, normal für einen jungen Mann mindestens ein Mal im Leben eine Frau für eine jüngere zu verlassen. Sie fand das nicht komisch, aber er hatte nun mal einen solchen Humor. Die beiden würden ohne ihn auskommen – sie hatten es schließlich vor seiner Geburt auch gekonnt.

Sein Vater entschuldigte sich noch ein Mal, dass sie William nicht zur Station bringen konnten; diese Fahrt mit dem Automobil wäre teurer gewesen als der gesamte Rest des Umzugs und das war nun mal nicht zu leisten. So machte sich der nun vollwertige Mann – er hatte sich soeben von seinen Eltern emanzipiert – auf den Weg zum Bahnhof, der ihn mindestens eine Stunde kosten würde. Zum Glück war es – untypisch für diese Jahreszeit – an diesem Morgen trocken, es begann erst zu regnen als er bereits angekommen war. Hier konnte man sich in in einer kleinen Hütte unterstellen. Er überprüfte seine Brusttasche und fand erleichtert seine Identität an erwartetem Ort. Ohne sie hätte er den Zug zwar betreten können, wäre jedoch gezwungen gewesen vom nächsten Halt zurück zu laufen und überdies eine Strafe zu zahlen – schließlich hatte er die Fahrt auf seinen Namen gebucht und musste seine Identität zeigen können. Das Ticket diente ihm nur, die Abfahrtzeit festzustellen.

In Williams Blase baute sich ein zunehmender Druck auf; er hätte weniger Milch zu seinen Flocken nehmen sollen. Er lief im Wartehäuschen auf und ab, über ihm das Summen der Kamera, die ihn ständig im Fokus behielt. In einer Viertelstunde würde der Zug kommen, dort konnte er sich dann entleeren. Der am Bahnhof dazu vorgesehene Ort war ihm zu schmutzig; außerdem waren die Toiletten der einzige öffentliche Ort, an dem Vandalen noch wüten konnten. Sicherlich war mindestens eine Keramikschale zerbrochen. Im Zug dagegen war meist alles sauber und benutzbar. Außerdem konnte er so noch ein wenig Geld sparen.

Endlich kam die Bahn; sie war pünktlich auf die Minute, doch hätte William bei einer zu sehr verzögerten Ankunftszeit zu platzen gedroht. Er hatte überlegt den geringen Eintritt zum Vandalenpark zu zahlen, den Gedanken aber verworfen, da der Zug gelegentlich auch früher fuhr und er ihn somit womöglich verpasst hätte. In diesem Fall wäre er zwar berechtigt gewesen, auf den nächsten auszuweichen, aber er wollte das Risiko nicht eingehen, wenn auch nur eine Minute auf dem Spiel stand, die er seine Freundin später wiedersehen konnte.

In den Fängen des Terrors, Episode 0.1

Prolog

William schreckte auf, er saß senkrecht im Bett. Wie jeden Morgen war das Klingeln des Weckers höchst unerwartet gekommen. Doch heute war es ganz besonders gewesen, er hatte sehr unruhig geschlafen und fühlte sich, als sei er soeben erst ins Bett gegangen. Es dudelte das selbe Lied, das ihn immer aus den Träumen riss. William wünschte sich, dass die Station doch Gebrauch von ihrer Auswahl, die angeblich „mehr“ sein sollte, machen und den Begriff „das Beste“ etwas weiter fassen solle. Die Moderatoren rühmte sich, Musik aus jedem Jahrzehnt seit den 1960ern zu spielen; gefühlt hatten sie jeweils genau einen Repräsentanten ausgewählt. Ob sie für mehrfaches Abspielen eines Liedes nur ein Mal Verwertungsgebühr zahlen mussten? Irgendeine Erklärung musste es geben, doch William entschied sich, dem Spuk ein Ende zu bereiten und drückte auf den etwa drei Zentimeter langen und einen Zentimeter breiten, ovalen Knopf seines Radioweckers. Ihn würde er hier zurücklassen. Er überlegte kurz, ob es vorteilhaft wäre, sich früher wecken zu lassen, um mit den weniger monotonen Nachrichten zu erwachen. Schließlich war regelmäßig ein neues Thema in der öffentlichen Debatte. Tierseuchen folgten auf internationale Finanzpolitik folgten auf skandalöse Medienereignisse. Keine dieser Debatten wurde zum Ende geführt, aber wenigstens brachten sie etwas Abwechslung in die Monotonie der Medien. Schnell verwarf er den Gedanken wieder, da es ohnehin zu spät war, um bezüglich dessen etwas zu ändern: Heute war vorerst der letzte Tag, den er hier erwachen würde. Sein Koffer war bereits gepackt und in wenigen Stunden würde sein Zug in die Hauptstadt fahren.

Gemütlich aß er seine Frühstücksflocken. Wieder lief Musik, doch auf dem Empfänger in der Küche ließ sich eine Frequenz einstellen, die der andere nicht beherrschte. Das Signal rauschte zwar, aber dafür hatte er manchmal sogar die Gelegenheit, ein für ihn völlig neues Stück genießen zu dürfen. Und das, obwohl diese Musik nur aus einem Jahrzehnt stammte und – so schien es ihm – auf jeden Fall das beste daraus darstellen musste. Die Flocken – es waren solche aus Mais, aber auch solche, die den Namen „Vollkorn“ trugen – gingen zur Neige. Er hatte darauf verzichtet neue zu kaufen, da außer von ihm in seiner Familie Brot klar bevorzugt wurde. Sein Appetit jedoch bevorzugte je nach Jahreszeit ein anderes Frühstück. Manchmal deckte er sogar den Tisch, um sich dann noch ein Mal anders zu entscheiden. Dieses geschah zum Beispiel, wenn er im Kühlschrank neben der Marmelade, welche er nehmen wollte, frische Früchte entdeckte. Nach dem Frühstück wandte William sich der morgendlichen Körperpflege zu, ehe er die dazu benötigten Utensilien in den Koffer zu seiner gebügelten und säuberlich zusammengefalteten Wäsche legte. Zuletzt nahm er eine Schachtel Pralinen aus dem Kühlschrank und schlug sie in Aluminium ein – so würde er sie in der trockenen Heizungsluft des Zuges vor dem Schmelzen bewahren können. Dieser Aufwand tat Not, denn am Bahnhof würde ihn seine Freundin, zu der er zog, sehnlichst erwarten. Um die isolierende Folie wickelte er eine zusätzliche Lage bunten Papiers und band eine Schleife um das fertige Paket.

Fortsetzungsgeschichte:
„In den Fängen des Terrors“

Ich habe mich entscheiden, eine Geschichte, die mir schon länger im Kopf herum spukt, Stück für Stück – wie ich sie schreibe – hier im Blog als Fortsetzungsgeschichte zu veröffentlichen. Diese Serie darf durchaus als Experiment gesehen werden – schließlich ist nicht ganz klar, ob am Ende noch alles zusammenpasst: Durch den Veröffentlichungsmodus werde ich in der Lage sein, tagesaktuelle Geschehnisse in meine Fiktion einzubinden. Und das möchte ich auch tun, sobald der Grundstein zur Geschichte gelegt ist.

Erste Skizzen zur Geschichte existieren schon seit einigen Jahren, dennoch hat sie (leider) nichts an den Umständen geändert, die mich auf die Idee zu dieser Geschichte gebracht haben, somit ist auch der Grundstein zur Geschichte durchaus als tagesaktuell zu sehen. Auf Titel ist mir für meine mittlerweile recht weitläufige Gedankenwelt wollte ich mich bisher nicht festlegen. Ursprünglich habe ich etwas schlichtes bevorzugt; dass ich jetzt etwas mehr Pathos in die Überschrift lege, hat auch mit der gewählten Veröffentlichungsform zu tun: Das Überthema soll immer greifbar bleiben, auch wenn es hier und da Seitenhiebe auf die Tagespolitik geben wird.

Den ersten Teil der Geschichte werde ich in den kommenden Tagen veröffentlichen. Ich hoffe, dass er seine Leser finden wird.