Abschiebung

Immer wieder wird in letzter Zeit gefordert, dass straffällige Asylbewerber abgeschoben werden sollen. Jetzt sagte auch Angela Merkel, kriminelle Ausländer hätten ihr „Gastrecht verwirkt“. Doch was bedeutet dieser Gedanke?

Sollte tatsächlich eine Abschiebung erfolgen und der Asylantrag berechtigt sein, warten Verfolgung, Folter und Tod auf den Abgeschobenen. In diesem Falle würde man faktisch die Todesstrafe fordern. Sollte der Antrag nicht berechtigt sein, so ist die Ausweisung keine Strafe – sie würde ohnehin erfolgen. Gehen wir also von der Bestrafung aus: Warum sollte man hier mit zweierlei Maß messen? Hier wird oft unterstellt („Gastrecht“), dass die Menschen freiwillig hier wären. Dann hätten sie sich Rechtssystem und Gesellschaftsordnung sozusagen ausgesucht und es wäre in der Tat berechtigt, bei ihnen strenger zu sein. Im Umkehrschluss hieße es aber auch, dass deutsche Straftäter unfreiwillig hier sind und folglich eine Entschädigung für ihre ungeliebte Staatsbürgerschaft verdienen.

Im Falle Merkels ist die Antwort vermutlich einfacher: Es geht wohl darum, die CDU attraktiver für Rechtsaußen zu machen. Dass Ausweisung nicht Abschiebung bedeutet, wird verschwiegen. Keine Todesstrafe also, sondern nur geistige Brandstiftung.

PS: Bei der Suche nach dem Merkel-Zitat habe ich zunächst „Gastrecht verwirkt“ bei DuckDuckGo eingegeben – und fand zunächst nur NPD-Zitate.

Der Untergang der Bürgertums?

Der 27. März 2011 war ein historischer Tag. Das sogenannte „Bürgerliche Lager“ musste in Baden-Württemberg zum ersten Mal seit Jahrzehnten eine echte Wahlniederlage einstecken. Ausgerechnet die Grünen, der von Schwarzgelb am schärfsten attackierte politische Gegner, fährt einen überwältigenden Sieg ein und wird künftig sogar den Ministerpräsidenten stellen.

Wird das Ländle jetzt sozialistisch, wie es unter anderem der CDU-Fraktionsvorsitzende Hauk an die Wand malte? Eher nicht. In Wahrheit scheint die Bevölkerung genau so konservativ geblieben zu sein, wie sie es schon seit mindestens 58 Jahren war. Auch wenn die Energiepolitik einen entscheidenden Einfluss auf diesen Wechsel hatte, reicht sie als Erklärung nicht aus: Schon vor dem Reaktorunglück in Fukushima konnten die Grünen in Umfragen Rekordwerte vorweisen. Vor allem viele frühere Nichtwähler haben aus deisem Grund ihr Kreuz bei den Grünen gemacht, doch bestand wohl kein Mobilisierungsproblem unter den (Ex-) CDU-Stammwählern. Die Wahrheit lautet: Die Grünen sind (zumindest in Baden-Württemberg) keine linke Partei mehr. Der künftige Ministerpräsident, der überzeugte Katholik Kretschmann, konnte viele Bürgerliche für sich mobilisieren. Vielleicht sind die Grünen sogar zur neuen „Mitte“ geworden. Diesen Titel hatten die Union bisher für sich beansprucht, zum Teil trotz populistischer Ausflüge, die man eher rechtsaußen eingeordnet hätte.

Bei Tageslicht betrachtet fällt weiter auf: Die Christdemokraten haben ihre Regierungsmehrheit vor allem durch das schlechte Abschneiden der FDP verloren. Fast wäre sie überhaupt nicht in den Landtag eingezogen. Auch die FDP hat an die Grünen verloren. Das überrascht wenig, verpassten es die Liberalen doch, an ihre Tradition als Bürgerrechtspartei anzuknüpfen. Seit Jahren steht der Wirtschaftsliberalismus im Vordergrund. Diese Vernachlässigung des einstigen Kernthemas hat sogar eine neue Partei auf den Plan gerufen, die seit einigen Jahren trotz geringstem Wahlkampfbudget und wenig politischer Erfahrung Wahl für Wahl Achtungserfolge einfahren kann: Die Piraten. (Sie sammelten z.B. im Südwesten Stimmen in der selben Größenordnung wie DieLinke.)

Und obwohl konservative Wähler den politischen Graben zwischen der CDU und Grünen übersprungen haben, und Schwarz-Grün laut Heiner Geißler (CDU) „politisch wie auch inhaltlich […] genauso möglich [sei] wie eine Koalition mit der FDP“, läuft alles auf Grün-Rot hinaus. Denn selbst die neuen, konservativen Grünen können nach der Laufzeitverlängerung und Stuttgart21 nicht mit der Union koalieren. Wenn man so will, wurde also die Wahl des Ministerpräsidenten schon im letzten Herbst entschieden, als sich die CDU ins koalitionspolitische Abseits spielte.