Asyl: Strafe und Legalität

Rechtsstaatlichkeit ist eine wichtige Errungenschaft, die man nicht über Bord werfen sollte, nur weil aus Krisengebieten auch Kriminelle zu uns kommen.

Seit einigen Tagen kenne ich nun jemanden, der jemanden kennt, die Opfer sexueller Gewalt (durch Nordafrikaner) geworden ist. Und je länger ich darüber nachdenke, umso mehr wird mir eines bewusst: Der Fakt, dass es in meinem erweiterten Bekanntenkreis Opfer sexueller Gewalt gibt, ist (leider) nicht das bemerkenswerte. Besonders ist, dass ich von dem Umstand weiß. Üblicherweise wird (selbst unter vertrauten Menschen) nicht über das Thema geredet. Gemäß Kleine-Welt-Phänomen ist es nicht verwunderlich, dass kurze Verbindungen bestehen. Dass diese Verbindung aber explizit bekannt ist, kann als Indiz für den „Sensationswert“ gesehen werden. (Das Phänomen besagt auch, dass die Verbindungen zu allen möglichen Kriminellen fast ebenso kurz sind. Irgendwie gruselig.)

Ob nun gewöhnlich oder nicht, diese gefühlte Betroffenheit hat mich wieder zum Thema meines letzten Beitrags – Abschiebung und Bestrafung – gebracht. Wie soll man Menschen bestrafen, die sich ohnehin nicht in Deutschland aufhalten dürfen? Nach aktuellem Vorgehen genießen Menschen, die sich illegal in Deutschland aufhalten, faktisch Straffreiheit – im schlimmsten Falle werden sie früher weggeschickt. Eine Lösung wäre eine zusätzlich Strafe. Vermutlich einfacher ist es jedoch, das das Dilemma zu vermeiden anstatt es zu lösen: Wenn niemand „ohnehin abzuschieben“ wäre, stellte sich die Frage nicht.

Um das klar zu machen: Wer unseren Schutz braucht, muss ihn bekommen. Alles andere wäre Verrat an uns selbst. Zur Vermeidung von illegalem Aufenthalt gibt es prinzipiell zwei mögliche Strategien. Verbote mit Strafen führen uns allerdings wieder zum genannten Dilemma. Es bleibt die Vereinfachung des legalen Aufenthalts. Und das könnte funktionieren, indem wirklich Schutzbedürftige bei ihrer Flucht unterstützt würden. Bewilligter Antrag aus dem Ausland – freies Geleit ins Asyl. Politisch ist dieser Weg bislang jedoch abgelehnt worden – Stichwort Dublin-Verordnung. Bestünde die Möglichkeit, in der Nähe eines Krisengebiets einen Asylantrag zu stellen und anschließend in ein sicheres Land aufgenommen zu werden, wer würde noch die beschwerliche, risikoreiche, oft tödliche Flucht über tausende Kilometer antreten?

Abschiebung

Immer wieder wird in letzter Zeit gefordert, dass straffällige Asylbewerber abgeschoben werden sollen. Jetzt sagte auch Angela Merkel, kriminelle Ausländer hätten ihr „Gastrecht verwirkt“. Doch was bedeutet dieser Gedanke?

Sollte tatsächlich eine Abschiebung erfolgen und der Asylantrag berechtigt sein, warten Verfolgung, Folter und Tod auf den Abgeschobenen. In diesem Falle würde man faktisch die Todesstrafe fordern. Sollte der Antrag nicht berechtigt sein, so ist die Ausweisung keine Strafe – sie würde ohnehin erfolgen. Gehen wir also von der Bestrafung aus: Warum sollte man hier mit zweierlei Maß messen? Hier wird oft unterstellt („Gastrecht“), dass die Menschen freiwillig hier wären. Dann hätten sie sich Rechtssystem und Gesellschaftsordnung sozusagen ausgesucht und es wäre in der Tat berechtigt, bei ihnen strenger zu sein. Im Umkehrschluss hieße es aber auch, dass deutsche Straftäter unfreiwillig hier sind und folglich eine Entschädigung für ihre ungeliebte Staatsbürgerschaft verdienen.

Im Falle Merkels ist die Antwort vermutlich einfacher: Es geht wohl darum, die CDU attraktiver für Rechtsaußen zu machen. Dass Ausweisung nicht Abschiebung bedeutet, wird verschwiegen. Keine Todesstrafe also, sondern nur geistige Brandstiftung.

PS: Bei der Suche nach dem Merkel-Zitat habe ich zunächst „Gastrecht verwirkt“ bei DuckDuckGo eingegeben – und fand zunächst nur NPD-Zitate.

Bundestagswahl 2013:
EGAL weiter stärkste Kraft

Nach dem vorläufigen amtlichen Endergebnis repräsentiert die Fraktion der Nichtwähler „EGAL“ weiter die Mehrheit der Bevölkerung. Zu einer Regierungsbildung wird es allerdings vermutlich nicht kommen: Zusammen mit ihrem favorisierten Koalitionspartner, der Allianz aus „Nicht im Parlament“ und „Außerparlamentarischer Opposition“ (NIP/APO) verfehlen die Urnenverweigerer die absolute Mehrheit deutlich.

Ergebnisse der Bundestagswahl 2013
Ergebnisse der Bundestagswahl 2013

Vermutlich läuft es auf eine GROßE KOALITION aus CDU/CSU und SPD hinaus, die zusammen immerhin 50,8% der Bevölkerung repräsentieren. Aber auch eine Minderheitsregierung steht zur Diskussion.

PS: Gratulation an die Gewinner der Wahl. Ich finde es nur außerordentlich schade, dass deutlich über 15% der abgegebenen Stimmen keine Repräsentanz im Bundestag finden. Auch wenn natürlich eine hinreichend legitimierte außerparlamentarische Opposition zumindest ihre Meinung zu Protokoll geben und öffentlich Kund tun kann, wird es Leute geben, die dann beim nächsten Mal nicht zur Wahl gehen. Bitte denkt also über die Abschaffung der 5%-Hürde nach.

Wir sind auch analog dement!

Was uns als Medienkompetenz, Lernen am Buch und Hand-Abschriften verkauft wird, bringt tatsächlich uns und unsere Kinder um den Verstand. Eine (Fast-) Replika eines Textes von Manfred Spitzer[1].

Schriftliche Medien machen süchtig und rauben uns den Schlaf. Sie schaden dem Gedächtnis, nehmen uns geistige Arbeit ab und sind deswegen zur Förderung des Lernens im Bildungsbereich grundsätzlich ungeeignet: Wer etwas aufschreibt, braucht es sich schließlich nicht mehr zu merken. Im Hinblick auf unseren Geist und unseren Umgang miteinander haben sie keine positiven Wirkungen, sondern vielmehr zahlreiche Nebenwirkungen: In Texten wird mehr gelogen und betrogen als in der realen Welt. Wer sich die schriftliche Welt durch Lesen erschließt, kann deutlich schlechter (weil deutlich langsamer) über sie nachdenken als diejenigen, die die reale Welt be-greifen[2]. Und wer gelernte Sachverhalte in einer realen Gruppe diskutiert, behält sie besser als jener, der mit anderen darüber Briefe schreibt.

Schriftstücke beeinträchtigen das Sozialverhalten und fördern Ängste und Depressionen
Trotz vielfacher gegenteiliger Behauptungen beeinträchtigt die Nutzung von Texten in der Regel die gezielte Informationssuche und die Selbstkontrolle. Mangelnde Gehirnbildung, vor allem in für Kognition und soziale Funktionen zuständigen Bereichen, führen zu Aufmerksamkeitsstörungen und gesteigerter Depressivität. Die Nutzung schriftlicher Medien in der Grundschule entspricht damit – auf Grund der im Kindesalter besonders großen Formbarkeit des Gehirns – dem Anfixen junger Menschen mit einer gefährlichen Suchtdroge. In England beispielsweise, dem Land mit der höchsten Dichte von schriftlichen Medien in Schulen, waren nach Angaben des dortigen Bildungsministeriums bereits im Jahr 2010 zwölf Prozent aller Schüler lesesüchtig.

Hinzu kommen ganz einfache Lerneffekte durch permanente „Berieselung“ mit bestimmten Inhalten
Sex in den Medien führt zu früherem Sex bei Jugendlichen, Action-Romane animieren zu risikoreicherem Kutschefahren, Alkoholszenen in Kurzgeschichten zu mehr Alkoholkonsum. Werthers Leiden erhöhten die Selbstmordrate.[3] Angesichts all dieser vielfach wissenschaftlich nachgewiesenen negativen Auswirkungen schriftlicher Medien auf Geist und Körper junger Menschen stellt sich die Frage: Warum wollen wir nicht sehen, was täglich vor unseren Augen geschieht? (…)

  1. [1]Original erschienen auf der Webseite eines montäglich erscheinenden Magazins. Um die Leistung des Verlags zu schützen, werde ich nicht darauf verlinken. Da der Unsinn mit dem Leistungsschutzrecht sich als Verlustgeschäft für Verlage herausgestellt hat, jetzt doch ein Link.
  2. [2]Zusammengefasst: Man kann aus Texten nichts lernen. Aber auch gar nichts!
  3. [3]Zusammengefasst: Man lernt aus Texten nur schlechtes.

Ungläubig mit der Vorhaut schütteln

An der aktuellen Debatte um die Beschneidung nach jüdischer und muslimischer Tradition gibt es einen Punkt, der mich ganz gewaltig stört: Ständig wird die Religionsfreiheit der Eltern gegen die körperliche Unversehrtheit des Jungen abgewogen. Vor allem Beschneidungsgegner werfen den Befürwortern vor, sich nicht in die Lage des Kindes zu versetzen. Dabei machen sie den selben Fehler: Keine Rolle scheint die (spätere) Religiosität der Beschnittenen zu spielen. Ungläubig mit der Vorhaut schütteln weiterlesen

Frauenquote und penislose Herren

Es begann wohl mit den Piraten, die mit vierzehn Männern und einer Frau in das Berliner Parlament einzogen. Auf die Frage nach dem Recht unausgewogenen Verhältnis antworten die Abgeordneten sinngemäß, man solle Menschen nicht auf ihr Geschlechtsteil reduzieren, die Piraten seien darüber im Übrigen hinaus – Dem „Post-Gender“-Ansatz gehöre die Zukunft.

Aber allerspätestens seit der Übereinkunft der Bundesfrauenministerin mit den Daxunternehmen, statt einer Frauenquote auf eine freiwillige Übereinkunft zu setzen, ist das Thema wieder mal in aller Munde (oder zumindest auch in konservativen Kreisen angelangt). Irgendwie bietet es sich ja auch an. Im Gegensatz zur Finanzkrise weiß hier jeder zumindest im Ansatz, worum es geht. Es gibt keine Unklarheit, ob nun Banken, Griechenland, der Euro, Europa oder die westliche Kultur „gerettet“ werden sollen. Es geht um die Machtverteilung zwischen Männern und Frauen.

Das Thema hat schon den Vorteil, dass fast jeden von uns einer dieser beiden Gruppen angehört und somit zumindest einen gewissen Bezug zur eigenen Lebenswirklichkeit herstellen kann. Aber das ist auch ein Nachteil: Weil jeder sich irgendwo betroffen fühlt, wird die Diskussion oft zu sehr aus der eigenen Perspektive geführt – so zumindets die Vorwürfe. Zum Beispiel schiebt Julia Schramm in einem Artikel auf Telepolis die „Beißreflexe“ einiger Nerds, wenn sie das Wort Feminismus hören, auf deren persönlichen (negativen) Erfahrungen mit dem weiblichen Geschlecht. Aber zumindest ist vordergründig klar, worum es geht, und es kann jeder wenigstens irgendetwas mit dem Thema anfangen.

Frau Schröder möchte also am liebsten nichts machen, außer ihre Kritiker mit einer folgenlosen Absichtserklärung und unkonkreten Forderungen ruhig stellen. Das andere Extrem leben uns seit ihrem Bestehen die Grünen vor. Dort muss auf Gedeih und Verderb genau jede zweite Person eine Gebärmutter haben. Dass das allein nichts bringt, merkt man unter anderem an Frau Merkel [1]. Die hat zwar keinen Penis, regiert aber trotzdem exakt so, wie man es auch von einem Mann erwarten würde. Natürlich, der bunte Blazer zwischen all den Anzügen fällt schon auf, aber um solche Oberflächlichkeiten geht es hoffentlich nicht.

Hier offenbart sich das Dilemma: Hintergründig ist dann doch nicht klar, was es nun mit der Quote auf sich hat. Oft – nicht nur in Vorstandsetagen – ergeben sich Probleme und Unannehmlichkeiten durch einen unausgewogenen Anteil. So fiele es Männern sicherlich einfacher, „intime Produkte“ bei einem Geschlechtsgenossen zu erwerben – in der Apotheke wie im Drogeriemarkt arbeiten aber leider fast nur Frauen. Es gibt angeblich sogar viele Paare, in denen sich die Frau nur aus diesem Grund um die Verhütung kümmernt. (Hier wäre zum Wohle der Volksgesundheit vielleicht eine Männerquote angemessen…)

Ganz offenbar verhalten sich Frauen und Männer in gewissem Maße verschieden, werden unterschiedlich behandelt und reagieren entsprechend. Das Problem der zugeschriebenen und eingenommenen Rollen vor allem in Bezug auf die Gender ist seit langem bekannt. Der Anteil beider Geschlechter in unterschiedlichen Beschäftigungsfeldern ist also ganz offensichtlich auch ein Barometer für diesen Umstand. Da stellt sich dann auch die Frage: Wird das Klima besser, wenn man das Barometer auf einen bestimmten Wert festnagelt? Oder züchten wir uns damit nur eine Führungsriege aus penislosen Herren? Muss man momentan mental Mann sein, um in einer leitenden Position zu bestehen, so könnte das durchaus passieren…

  1. [1]Ich hätte auch Beispiele bei den Grünen bringen können, aber so bleibt es hoffentlich für einen größeren Personenkreis nachvollziehbar.

Piraten, Vertrauen und „Protestwähler“

Gestern musste ich lesen, dass laut Umfragen des Meinungsforschungsinstituts Forsa 84 Prozent der Wähler der Piratenpartei als Protestwähler einzuschätzen seien. Diese Einschätzung erfolgte, weil die Befragten „das Vertrauen in die etablierten Parteien verloren“ hätten. Diese Kategorisierung halte ich für schwierig:

Erstens riecht „Protestwahl“ grundsätzlich nach einer Ausrede. Wenn eine nicht etablierte oder eine unerwünschte Partei eine relevante Anzahl an Stimmen bekommt, war das eben Protest – so muss man sich nicht mit den aufgeworfenen Fragestellungen auseinandersetzen. Ebenso wie man in früheren Jahren nicht zugeben musste, dass über fünf Prozent der Urnengänger mit rechtsradikalem Gedankengut sympathisieren.

Zweitens ist doch gerade Vertrauen das wichtigste Gut in der Politik. Es liegt nahe, immer diejenige Partei zu wählen, der man in den für sich relevanten Themen am meisten vertraut. Richtig gelesen: Vertraut! Ob man es einer Gruppierung auch zutraut, ist erst mal zweitrangig: Echt bemüht ist besser als halbherzig dann doch etwas anderes gemacht.

So vertraute man vor allem einer Partei, den Atomausstieg herbeizuführen. Man sieht im Nachhinein, dass die Umsetzung hätte besser sein können – sonst hätte es das Hin und Her im Laufe des letzten Jahres nicht gegeben – aber der Wille war da, das Ziel vor Augen. Und so haben wir selbst den neuen Ausstieg wohl im Kern vor allem denen zu verdanken, die schon den alten beschlossen haben. Der Wähler honoriert das entsprechend, die Grünen sind erfolgreicher denn je.

Und man hat einer anderen Partei mehr als jeder anderen vertraut, das Steuersystem vereinfachen zu wollen. Immer wieder wurde mit Dreistufentarifen und Entbürokratisierung geworben – wahrscheinlich hätten die Wähler aufgrund der Kassenlage sogar das „einfachere, gerechtere und gleich hohe Steuersystem“ akzeptiert. Umgesetzt wurde – zumindest in der öffentlichen Wahrnehmung – nur eine „kompliziertere, ungerechtere und niedrigere Einzelsteuerregelung für Hotels“. Hier wurde Vertrauen vernichtet – und vielleicht am Ende eine ganze Partei.

Ergebnisse der Sonntagsfrage (Quelle: spiegel.de)

Man spürt also deutlich, wie wichtig Vertrauen in der Politik ist. Wenn man es jetzt an (noch) unbekannten Ufern sucht, ist das ein schlechtes Zeichen für die Etablierten, aber kein Protest. Wenn diese aber in der Lage sind, Vertrauen – dazu gehört auch die von den Piraten vorgelebte Transparenz – wiederherzustellen, wird sich das „Problem“ mit den Piraten ganz von allein lösen. Wahrscheinlich wird das den meisten Anhängern dieser Partei gar nicht so unrecht sein – schließlich bezeichnen sie sich als von Inhalten getriebene Nicht-Karrieristen. Auf der anderen Seite jedoch wird eine Erschütterung des Vertrauens in die Piraten deren Wähler vielleicht endgültig deren Vertrauen in unsere Demokratie als ganzes zerstören.